Dinner for One – Oder: Miss Sophies 32. Geburtstag

Ein Chat mit einem Freund (Danke, C.!) hat mich auf eine Idee gebracht. Wie kam es eigentlich zu dem Dinner? Und was geschieht, wenn James Miss Sophie auf ihr Zimmer begleitet, und ihr verspricht: „I´ll do my very best!“? Das Ganze muss viele Jahre früher seinen Anfang genommen haben …

Da die Geschichte recht lang geworden ist, werde ich sie aufteilen. Teil 2 wird am Freitag, den 05.01.2017, erscheinen.

Es gibt auch noch einen dritten Teil. Diesen erhalten nur Newsletter-Abonnenten. Wer also wissen will, was passiert, sobald Miss Sophie sich in ihr Schlafgemach zurückzieht, sollte sich schnell registrieren … (und mir dann eine Nachricht schicken, damit ich die Story exklusiv ausliefern kann).

Und jetzt: Viel Spaß mit Miss Sophie, James, Mr. Pommeroy (sel.), Mr. Winterbottom, Sir Toby und dem zukünftigen Admiral von Schneider!


„Sie hat mir aufgetragen, den Tisch wie jedes Jahr zu decken, Marie. Kannst du dir vorstellen, wofür das gut sein soll?“
Die Köchin zuckte mit den Schultern, was ihre speckigen Arme vibrieren ließ. „Keine Ahnung. Sie sind doch der Einzige, der weiß, was an Silvester in diesem Haus vor sich geht.“
James hörte ihrem Tonfall an, dass sie ihm sein Schweigen in Bezug auf dieses Ereignis nicht verzieh. Egal, er war nach fünf Jahren daran gewöhnt. Dass das leichte Schmunzeln, das er nicht verbergen konnte oder wollte, sie noch weiter auf die Palme brachte, war ihm bewusst.
Miss Sophies Silvesterabende durften nie dem Geschwätz gewöhnlicher Dienstboten preisgegeben werden, das hatte sie ihm vor seinem ersten Einsatz eingeschärft. Sie vertraute ihm. Musste sie auch. Sollte nur eine Idee dessen, was in der Nacht zum neuen Jahr passierte, jemals an die Öffentlichkeit gelangen, ginge Miss Sophie nicht nur ihres Rufes verlustig, sondern er mitsamt dem Rest der Angestellten auch der Arbeitsstelle.
James machte sich Gedanken um seine Dienstherrin. Sie hatte den Tod von Mr. Pommeroy im September nur schwer verkraftet. Wollte sie so tun, als wäre nichts geschehen, oder warum sollte er wie zuvor fünf Gedecke richten? Dabei schätzte er sie als eine Frau, die der Realität ins Auge sah und sich vom Leben nahm, was sie konnte. Dazu gehörte auch dieser Abend. Und die Nacht. Oh, die Nacht.
Natürlich hatte er als einzig anwesender Dienstbote im Haus gelauscht. Und ja, zugegeben, auch durchs Schlüsselloch gespickt. Dass er seine Beobachtungen nicht weitererzählen durfte, bedeutete ja nicht, dass seine Neugier gedämpft wurde auf das, was sich hinter der Tür abspielte. Zu Recht. Was er dort gesehen hatte, bot ihm Fantasiefutter für den Rest des Jahres.
„James, Sie müssen beginnen, sonst schaffen Sie das nie, bis die Gäste eintreffen! Denken Sie an die heißen Steine und vor allem an die Tücher zum Unterlegen!“
James vermutete, dass ein Teil des Unmuts der Köchin aus dem Wissen herrührte, dass ihr Essen, das sie im Voraus – wie immer mit höchster Präzision und ausgefeiltem Geschmack – produzierte, langsam aber sicher kalt werden würde. Der Fisch! Wie sollte sie den Fisch auf den Punkt garen, wenn er eine Stunde zum Warmhalten auf dem heißen Stein stehen würde? Eine jährliche Klage, bei der sich Maries Augen mit Tränen füllten und die Backen dank des nach unten verzogenen Mundes jegliche Spannkraft verloren.
„Marie, ich entscheide, wann ich den Tisch decke!“ Obwohl er wusste, dass er sich sputen musste, wollte er seiner Stellung gerecht werden. Ein Butler ließ sich nicht von der Köchin anweisen.

Eine Stunde später waren alle um den Tisch versammelt. Alle, bis auf einen.
James schenkte den Sherry aus, der die Suppe begleiten sollte. Mulligatawny Soup und trockener Sherry, wie jedes Jahr.
Miss Sophie dankte ihm mit einem Nicken, wie immer. Und wie immer faszinierten ihn die zarten Härchen im Nacken, die sich nicht in den Knoten einfügen wollten und stattdessen den schlanken Hals und helle Haut betonten. Ihr Duft stieg ihm in die Nase. Sie war keine Freundin starker Parfums. Ein Hauch Zitrone, der eher dem Haar zu entsteigen schien, unterstrich den so vertrauten Geruch, der ihn bis in seine Träume verfolgte.
Sir Toby vertrug weitaus mehr als die anderen Herren, also schenkte er diesem großzügig ein. Von Schneider, seit März Leutnant und zum ersten Mal in schmucker Uniform erschienen, entpuppte sich als noch zurückhaltender als sonst. Also war der Wunsch nach wenig Alkohol doch nicht nur seinem germanischen Ursprung zu verdanken.
An dem freien Platz wollte James vorbeigehen, doch Miss Sophie hob die Hand. „James, wir werden das Andenken an Mr. Pommeroy ehren, indem wir ihn weiterhin in unsere Gesellschaft einschließen. Bitte fülle sein Glas.“
James hatte von der Tradition gehört, Tote symbolisch zum Mahl einzuladen. Warum nicht? Die Runde bestand seit zwölf Jahren. Sie hatte begonnen, als Miss Sophie ihren zwanzigsten Geburtstag feierte. Im Sommer zuvor war sie durch einen Unglücksfall zur Waisen geworden. An diesem Tag, zugleich der letzte Tag des Jahres, lud sie die drei Verehrer ein, um ihre Entscheidung bekanntzugeben. Tatsächlich verkündete sie nicht wie erwartet, welchen von ihnen sie mit ihrer Hand beehren würde, sondern, entschied sich zum Erstaunen aller für die Unabhängig- und Ehelosigkeit.
Oh ja, unabhängig war sie, die Miss Sophie. Weitaus mehr, als sich Außenstehende vorstellen konnten. Die Tradition der Silvesternacht musste in diesem Jahr gegründet worden sein, aber das vermutete James nur. Sein Vorgänger im Amt des Butlers war unter eine Kutsche geraten und konnte keine Informationen mehr weitergeben. Mehr als Miss Sophies Verweigerung, zu heiraten, gab es von den Dienstboten über das Event nicht zu erfahren. Sie alle verließen das Haus, ehe die Gäste eintrafen. Alle, bis auf den Butler.
Die Herren erhoben sich zum Anstoßen auf das Wohl der Gastgeberin. Wieder gebot sie mit einer kleinen Geste Einhalt. „James!“
An der Anrichte beschäftigt, drehte James sich um. Was brauchte sie?
„James, Sie werden heute den Platz des armen und von uns sehr geschätzten Mr. Pommeroy einnehmen. Die Runde muss vollständig sein! Stoßen Sie mit uns an, vertreten Sie ihn würdig!“
Für einen Moment konnte er sich nicht bewegen. Dann verbeugte er sich tief. Was für eine Ehre! Mit leicht zitternden Fingern erhob er mit den andren das Glas.
„Sir Toby!“
„Cherio, Miss Sophie!“ Sir Tobys Stimme hörte sich an, als sei sie von dem üppigen Genuss alkoholischer Getränke in Mitleidenschaft gezogen, rau und tief.
„Lieutenant von Schneider!“
Der Leutnant ließ die Hacken zusammenknallen. Der zarte Mr. Pommeroy hatte jedes Mal etwas Wein verschüttet, weil er keine lauten Geräusche mochte. Vielleicht auch nicht die militärische Präzision, die von Schneider verkörperte.
Alle Augen richteten sich auf James.
„Mr. Pommeroy!“
Er war versucht, sich umzudrehen, weil er das Gefühl nicht loswurde, Mr. Pommeroy schaue ihm über die Schulter, doch er hielt sich im Griff. Das Glas erhoben, antwortete er: „Miss Sophie!“
Wie peinlich! Er hatte ohne nachzudenken die piepsige Stimme des Verstorbenen imitiert. Würde Miss Sophie ihn deswegen tadeln?
Ihr angedeutetes Lächeln und ein minimales Nicken zeigte ihm, dass er mit seiner Rolle richtig lag. Zusätzlich ließ das Lächeln Wärme in ihm aufsteigen. Er wusste, woher diese Wärme rührte. Zuneigung zu Miss Sophie. Oder mehr? Letztlich war es gleichgültig. Niemals durfte sie von seinen Gefühlen erfahren. Den Trinkspruch des Mr. Winterbottom, immer genauso übertrieben lang wie schmeichlerisch, hörte er nicht wegen des Rauschens in seinen Ohren.
Der Alkohol tat gut. Natürlich stand ihm als Butler ein abendliches Glas Wein zu, doch Sherry gab es nur zu besonderen Gelegenheiten. Der zarte Duft nach Eichenholz erinnerte ihn an die Einrichtung von Miss Sophies Schlafzimmer, das er wöchentlich inspizierte. Das eichene Vierpfostenbett von riesigen Ausmaßen dominierte den Raum.
Ohne Kontrolle wurden die Mägde schlampig und vergaßen, die Vorhänge in regelmäßigen Abständen zu waschen oder das Holz der Pfosten zu polieren und zu ölen. Der Duft von Eichenholz füllte dann das ganze Zimmer, überlagert von dem Geruch nach Bienenwachs. Doch immer konnte er unter all dem ihren Duft wahrnehmen.
Während er an der Anrichte wartete, bis die Runde die Suppe ausgelöffelt hatte, kam ihm eine Idee. Sein Herz überschlug sich beinahe. Schlimmer war, dass sich sein Organ regte, sich ausdehnte, pochte und sich bemühte, die wollenen Unterhosen unziemlich anzuheben. Möglichst unauffällig drehte er der Gesellschaft den Rücken zu und gab vor, den Zustand des Fischs und der Beilagen zu prüfen.
Wie dumm er war! Dass er anstelle von Mr. Pommeroy mit anstieß, bedeutete nicht zugleich, dass er diesen auch bei den anschließenden Vergnügungen vertreten durfte. Natürlich nicht! Seine Herrin würde ihn niemals auf einen Rang heben mit solch angesehenen Herren wie von Schneider oder Mr. Winterbottom.
Er benötigte länger als gewöhnlich, bis er registrierte, dass das Klimpern der silbernen Löffel auf Porzellan verstummt war und sich die Gentlemen mit Miss Sophie unterhielten. Zeit, die Teller abzuräumen.
„Als Nächstes bitte ich um den Fisch.“
„Ein Filet vom Kabeljau mit Wintergemüse und Pommes Duchesse, Mylady.“
„Danke, James, dazu bitte einen Weißwein.“
„Selbstverständlich, Miss Sophie, wie Mylady wünschen.“
Diesmal genügte ein kurzer Blick. Er schenkte Wein in das Glas am Platz des seligen Mr. Pommeroy.
Strahlte Miss Sophie heute Abend mehr als sonst? Oder lag es an dem Schein der Flammen, der tausendfach durch das Kristall der Gläser gebrochen wurde? Wie schön sie war!
„Miss Sophie!“ Das Piepsen war ihm gar nicht mehr peinlich, als es mit einem Lächeln belohnt wurde, das das Leuchten der Kerzen noch übertraf.
Es musste am Wein liegen, dass er heute sein Gemächt nicht im Griff hatte.
Zum nächsten Gang, dem Huhn, würde sie nach Champagner verlangen. Weiß Gott, was der mit ihm anstellen würde. Am besten nur einen Schluck davon für ihn, wie sonst sollte er bis zum Ende des Mahls durchhalten?
Da es ihm verboten war, die Gesellschaft durch das Wegtragen des Geschirrs zu stören, nutzte er die Anrichte für die Teller. Beim Auftragen des Huhns blieb er mit einem Fuß an dem Tigerfell mitsamt Kopf hängen, einem Geschenk Sir Tobys aus dem vergangenen Jahr, das nun den bevorzugten Platz im Salon einnahm. Verdammt, beinahe wäre der Hühnerschenkel auf dem Schoß des Leutnants gelandet. Dabei war er längst nicht mehr heiß genug, diesem die Eier zu verbrennen.
Erschrocken hielt James sich die Hand vor den Mund. Oh Himmel, hoffentlich hatte niemand diesen Gedanken erraten! Nein, unmöglich. Die Herren wurden viel zu sehr von Miss Sophies Liebreiz abgelenkt, ihnen war egal, was der Butler tat. James durfte denken, was er wollte. Er stellte sich bei jedem der Männer vor, wie er ihm brühend heiße Sauce in den Schoß kippte, bis keiner mehr in der Lage war, sich mit Sophie zu vergnügen. Seiner hübschen Herrin, die ihn vergnügt anlächelte, als er ihr den Teller mit dem zartesten Stückchen Hühnerbrust servierte, das er hatte finden können.
Hühnerbrust. Brüste. Miss Sophies Brüste. Klein, aber, oh! So schön! Genau richtig für seinen Geschmack.
Und garantiert auch nach dem Geschmack der anderen drei, deren Blicke mit jedem Gang tiefer nach unten gewandert waren. Von den Augen zum Mund und nun zu den Titten. Nein, Miss Sophie besaß keine Titten, schalt er sich. Brüste. Zarte Brüste. Mit harten Nippeln. Oder was drückte sich da durch das Kleid?
Bei der Verteilung des Champagners konzentrierte er sich ganz darauf, schenkte Sir Tobys Glas bis zum Überlaufen ein und vergoss einige Tropfen neben von Schneiders Flöte.
Hihi, Flöte. Jeder der Männer würde nur zu gerne seine Flöte hervorholen und damit spielen. Seine Stirn runzelte sich wider Willen. Genau das würden sie tun. Miss Sophie mit ihren Flöten beglücken, während er …
„Mr. Pommeroy!“


Foto: commons.wikimedia.org/wiki/File%3ALady_Sybil_Mary_St_Clair-Erskine_(pre-1892).jpg

3 Gedanken zu “Dinner for One – Oder: Miss Sophies 32. Geburtstag

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