Eis mit Sahne

„Da kommt er wieder“, raunt mir meine Kollegin halblaut zu und rammt mir ihren Ellbogen in den Bauch. „Einmal dunkle Schokolade. Die ganz dunkle“, versucht sie noch, ihn mit einer Stimme nachzuahmen, die sich eher wie der Manamana-Typ aus der Sesamstraße anhört.
Ich ramme zurück, aber nur halb so stark, ich will ihr ja keine blauen Flecken verpassen, wie ich sie abends aufweise. „Kannst du bitte leiser sprechen? Und deinen Ellbogen für dich behalten, wenn wir gerade dabei sind?“
„Ach komm schon, du magst es doch …“ Sie zwinkert mir zu wie eine Irre. Anita kann nicht unauffällig, sie ist immer zu laut, zu derb, zu grob, zu großzügig. Gerade haut sie wieder eine Kugel auf die Waffel, die so groß ist wie zwei normale. Sie wird sie für einen Euro rausgeben, ich weiß. Ich bringe es nicht übers Herz, sie zu schelten, auch wenn es von meinem Verdienst abgeht. So heiß wie es jetzt ist und so, wie der Betrieb an diesen heißen Tagen läuft, kann ich sie nicht vergraulen. Es ist nicht einfach, Eisverkäufer zu finden, die einigermaßen höflich sind und bereit sind, von elf Uhr morgens bis elf Uhr abends in meiner winzigen Bude zu stehen.
Drei Kinder sind noch vor ihm. Ich bediene sie und werfe möglichst unauffällige Blicke zu ihm. Dunkle Schokolade passt schon. Nicht dass er dunkelhäutig wäre, nur braungebrannt, mit schwarzen Haaren, kräftigen dunklen Brauen über genauso dunklen Augen und einem tiefschwarzen Vollbart. Hip, aber auf eine natürliche Weise. Ich weiß es nicht sicher, aber ich schätze, dass er den Bart nicht aus Modegründen trägt, sondern weil er es so mag.
„Einmal Schokolade, bitte. Die dunkle.“ Seine Stimme ist tief, das hat Anita schon richtig hinbekommen. Jedes Mal wenn ich sie höre, bebt etwas in mir, als würde eine Glocke angeschlagen. Dann stelle ich mir vor, wie es sich anhören würde, wenn er ganz andere Dinge zu mir sagen würde. „Mach die Beine breit!“, zum Beispiel. Oder: „Knie dich hin!“
Dummerweise habe ich Anita mal die Spuren sehen lassen, die von einer Bondagesession an meinen Handgelenken verblieben waren. Jetzt nutzt sie jede Gelegenheit, mich damit aufzuziehen.
„Sie müssen Julie schon lauter und mit mehr Autorität ansprechen. Sonst hört sie nicht!“, mischt sie sich jetzt ein.
Mir bleibt fast das Herz stehen. So eine fiese Kröte!
Leider hat sie mit dem Punkt Recht, dass ich eine ganze Weile nur dastand mit dem Hörnchen in der Hand und ihn einfach nur anstarrte. Mist, mache ich das etwa immer? Ich weiß es nicht, und das macht mich unglaublich verlegen. „Entschuldigen Sie.“
Er lächelt, aber nur mit dem Mund. Seine Augen sind ernst. Oder … intensiv? Das macht er immer so, dass er mich unverwandt anstarrt. Solange, bis er sein Eis aufgegessen hat. Ja, tatsächlich bleibt er hier, stellt sich in den Schatten links der zwei klapprigen Tische, die ich vor meinem Laden aufstellen durfte, und schleckt sein Eis, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Ich bin heute extra langsam, ich weiß gar nicht wieso. Dabei ist es so einfach, die Kelle in den Bottich mit der dunklen Schokolade zu tauchen und ein Bällchen davon auf die Waffel zu geben. Endlich beuge ich mich herunter. Obwohl ich das gleiche Shirt schon den ganzen Tag trage, wird mir jetzt erst bewusst, dass er von seinem Standpunkt aus einen tollen Ausblick hat. Ich schlucke heftig. Nein, das ist zu billig. Lieber gehe ich ein wenig in die Knie.
Ein Ellbogen drückt sich in meinen Rücken und mich damit ein ganzes Stück nach unten. „Lass mich mal an das Maracuja, Liebes. Du musst dich bücken, damit du da rankommst. Ganz tief!“ Anita keckert wie eine Hexe. „Machst du doch gerne, oder?“
Okay. Ich habe die Farbe von Himbeere inzwischen eindeutig überschritten, obwohl das bei mir schon ziemlich rot ist, immerhin mache ich es aus echten Himbeeren.
Ich luge selbst in meinen Ausschnitt, als ich endlich mit der Kelle im Schokoladeneis rumfuchtele. Klar. Durchblick bis zum Bauchnabel. Da hätte ich auch gar nichts anziehen brauchen.
Eine kleine Stimme in meinem Kopf weist mich darauf hin, dass ich doch genau deswegen den schönen BH angezogen habe. Ich will, dass sie die Klappe hält. Sie meldet sich in den unmöglichsten Momenten und sagt mir Dinge, die ich auch so weiß, aber gerade nicht hören will. „Du hörst ja eh nicht auf deinen Körper. Sonst würdest du schon längst das Eis mit ihm teilen. Er hat eine sehr agile Zunge.“
Ungeduldig wische ich mit dem Arm über die Stirn. Wie kann ich mich selbst zum Schweigen bringen?
Von der Kelle, die natürlich gefüllt war mit Eis, tropft ein dicker Batzen auf mein T-Shirt.
Okay. Das ist die Brombeer-Stufe. Dunkler rot geht gar nicht mehr.
„Sie wirken heute etwas unkonzentriert.“
Ich muss ihn einfach anschauen. Noch nie hat er mehr mit mir gesprochen als seine Bestellung aufgegeben.
„Haben Sie genug getrunken?“
„Sie schleckt lieber Sahne, als dass sie was trinkt. Große Spritzer Sahne.“ Anita ist dermaßen penetrant heute, dass ich dazu neige, sie doch zum Arbeitsamt zurückzuschicken, wo ich sie herhabe.
„Einen Euro macht das.“ Gott, endlich habe ich es geschafft, die Kugel in das Hörnchen zu befördern. Ich lecke mir über die Lippen und starre das Eis an anstatt ihn. Er wird gleich seine Zunge dort haben, wird sie rund um die Kugel gleiten lassen, wird daran saugen und lecken, dann an der Waffel knabbern und beißen.
Er legt mir das Geld hin. Bei der Übergabe der Waffel berühren sich unsere Finger kurz. Auch heute fühlt es sich wieder an, als habe ich in die Steckdose gegriffen.
Warum nur bringe ich nicht den Mut auf, mit ihm zu reden? Selbst eben, als er mich etwas gefragt hat, konnte ich nicht antworten.
Mir ist schlecht. Richtig schlecht. Ich bin so eine blöde Kuh. Da steht ein Mann, der mir so was von gefällt, er hat eindeutig Interesse an mir und ich bin unfähig, ihn anzulächeln, ihn anzusprechen, ihm meine Telefonnummer zu geben. Stattdessen benehme ich wie ein Dorftrottel.
Unter dem Vorwand, mein Shirt auswaschen zu müssen, gehe ich nach hinten. Wir haben einen winzigen Gastraum, daran schließt sich die noch kleinere Küche an, in der ich mein Eis anrühre und dahinter ist der Ausgang zum Hof.
Ich hatte vor, mal eben durchzuschnaufen, aber der Hof liegt um diese Zeit in der prallen Sonne und ist entsprechend aufgeheizt.
„Haben Sie genug getrunken?“
Wie eine Katze, die auf dem Küchentisch entdeckt wurde, erstarre ich und schaue ihn nur an. Was zum Teufel tut er hier?
„Brauchen Sie jemanden, der sich um Sie kümmert?“
Noch immer bringe ich kein Wort heraus. Was redet er da?
„Ich habe Sie vor einiger Zeit gesehen, als Sie sich als Ropebunny zur Verfügung gestellt haben. Dann sah ich Sie zufällig hier hinter der Theke.“ Er lehnt sich ganz lässig an den Türrahmen und schleckt an seinem Eis, als sei es die natürlichste Sache der Welt, in meinem Hinterhof aufzutauchen. „Ich würde sie ja zu einem Kaffee einladen, aber ich habe gesehen, dass sie eigentlich nie frei machen. Das ist Ihr Laden, nicht wahr? Sie stehen jeden Tag hier drin und verkaufen. Und nach dem Schild zu schließen, machen Sie auch das Eis selbst. Sehr gutes Eis übrigens.“
Ich beobachte fasziniert, wie er seine Zunge um die nur noch halb so große Kugel gleiten lässt und dann seine Lippen darüberstülpt.
Mir ist schlecht, denke ich, und schimpfe mich selbst für diese blöde Ausrede. Das ist kein Bauchweh, das ist was ganz anderes. Erregung. Und eine seltsame Schwäche in den Knien. Und Schmetterlinge im Bauch. Große, bunte, Schmetterlinge, nicht die aufgespießten, sondern welche, die selbst Nadeln als Fühler haben und mir diese nun unbarmherzig in die empfindlichsten Stellen stecken.
„Wann haben Sie also Zeit für ein Date? Im Herbst?“
Ein Grinsen macht sich auf meinem Gesicht breit.
Er erwidert es. Diesmal grinsen auch seine Augen mit.
„Übermorgen ist Regen gemeldet“, murmle ich. „Da brauche ich weniger. Und ich kann auch mal was auf Vorrat machen.“
„Übermorgen, ja? Mit Schokoeis?“
Ich runzle die Stirn. „Mit Schokoeis?“ Was soll das heißen?
Er bewegt sich, kommt auf mich zu, stellt sich ganz dicht vor mich. „Schokoeis. Auf deinem Bauch. Auf deiner Muschi. Welche Sorte magst du am liebsten?“
„Erdnuss-Karamell.“ Warum hört sich das aus meinem Mund an wie ein Sextoy?
Seine Augen werden noch einen Hauch dunkler und seine Stimme klingt wie geschmolzenes Latte Macchiato. „Erdnuss-Karamell wird es sein. Auf meinem Schwanz. Du auf den Knien vor mir. Übermorgen.“
Er geht. Ich bleibe.
Geschmolzen fühle ich mich, aber nicht wegen der Sonne. Das würde die Feuchte erklären, die meinen Zwickel tränkt.
Eis in der Sonne. Sahne obendrauf. Dunkle Schokolade.

4 Gedanken zu “Eis mit Sahne

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