Handschellen und Feuerwerk

Derek trat auf die Straße und ließ die Tür hinter sich zufallen. Die Musik war hier draußen fast genauso laut wie da drin, aber dafür war hier die Luft besser. Sein Freund hatte den Diner gebucht für die Silvesterparty, die zugleich sein Junggesellenabschied sein sollte. Der hasste die klassische Art, diesen zu feiern, und wollte viel lieber mit seinen Freunden trinken und tanzen.
Der Diner auf der Eleventh Street im Art Deco-Viertel von South Beach war gepackt voll mit jungen Männern. Nur Männern, keine einzige Frau war darunter. Umso erfreulicher war der Anblick, der sich Dereks Augen hier draußen bot. Eine junge Frau, extrem tiefer Ausschnitt, extrem kurzer Rock, also genau passend gekleidet für Miamis Nachtleben, kam über die Straße und dann auf ihn zu. Ihre Hüften schwangen verführerisch, die Brüste bewegten sich auf eine Art, die klarmachte, dass sie unter dem sehr engen und sehr kurzen Top nichts trug.
Speichel sammelte sich in Dereks Mund. Fuck. Er hatte wohl schon zu lange keinen Fick mehr gehabt, wenn er so auf eine beliebige Frau reagierte. Dabei hatte er sich geschworen, keine Beziehung mehr einzugehen und erst recht keinen bedeutungslosen Fick mehr zu haben mit einer Frau, die nicht das Gleiche wollte wie er. Was schließlich der Grund war für seine trockene Phase.
Das Fahrzeug, das auf der Straße zu einem quietschenden Halt kam, beachtete er erst, als sich die Türen öffneten und zwei Männer in Uniform hervorsprangen. Der eine packte die Frau am Arm und warf sie mit unnötiger Kraft gegen die Wand des nebenan liegenden Gebäudes. Der andere schnappte sich ihre Handtasche und begann, diese zu durchsuchen.
„Lasst mich los! Ich habe nichts getan!“
Derek hörte den Schock in ihrer Stimme, was ihn aus seiner Starre riss. Er ging über die Kreuzung in die Richtung des Dramas, das sich dort abspielte. Wie bei einem Unfall konnte er den Blick nicht abwenden.
Polizist Nummer eins ließ Handschellen um ihre Handgelenke klicken, was sie mit einem Stöhnen quittierte. Derek hörte an dem Ratschen, dass der Uniformierte sie vermutlich extrem fest anzog. Sie würde Abdrücke zurückbehalten, das war sicher. Hoffentlich war sie schlau genug, nicht daran zu zerren, sonst riss sie sich die Haut auf.
„Ma’am, Sie werden verdächtigt, einen Mann ausgeraubt zu haben. Unten am Lummus Park haben Sie ihn abgelenkt und sich dann an seinem Rucksack bedient, während er Ihnen seine Muckis an den Geräten vorgeführt hat.
„Ich war nicht am Lummus Park. Überhaupt nicht am Ocean Drive oder am Strand. Ich komme direkt aus meinem Hotel.“
Derek entschied sich, einzuschreiten. „Officers, ich habe gesehen, dass sie die Washington Ave von Norden herkam. Die hat sie von der 12ten betreten und hat dann die Straße überquert. Ich habe sie schon so lange im Auge.“
„Und wer sind Sie? Ihr Lude?“
„Ich bin Derek Winshaw und bin Gast auf der Party im Diner. Dort war ich bis vor ein paar Minuten. Sie können den Gastgeber und alle Gäste fragen. Ich bin nur vor die Tür getreten, um frische Luft zu schnappen. Da habe ich sie gesehen. Sie hatte es weder besonders eilig, noch könnte sie auf diesen Schuhen schnell laufen. Sie war auch nicht außer Atem. Wenn der Diebstahl also erst ganz kurz her ist, kann sie es nicht gewesen sein. Liegt nicht Ihr Revier in der 12ten?“
„Meine Ferienwohnung, die ich gemietet habe, auch. Das Gebäude heißt Pensilvania 11. Da bin ich eben erst losgelaufen. Ich war nicht am Strand, wirklich nicht.“
„Hast du was gefunden?“, fragte Nummer eins seinen Kollegen.
„Nein. Sie ist sauber.“
„Na gut, Miss. Dann mache ich sie wieder los. Bleiben Sie genau so stehen, bis wir uns entfernt haben. Passen Sie auf sich auf. Hier sind genug Diebe und Halunken unterwegs.“ Er warf Derek einen warnenden Blick zu, den dieser gelassen beantwortete. Er wusste, dass man sich besser nicht mit der Polizei anlegte.
Die Männer interessierten ihn nicht mehr. Viel mehr faszinierte ihn die Frau, die noch genauso dastand, wie der Polizist sie hatte stehen lassen. Die Hände auf dem Rücken, über einem wunderbar gerundeten Arsch, die Brüste an die Hauswand gepresst. Ihr Rock war ein ganzes Stück hochgerutscht an der Seite, so dass er sehen konnte, dass sie entweder gar keinen Slip trug oder maximal einen String. Aber das war gar nicht entscheidend. Ihre Haltung machte ihn an. Sehr sogar.
Er ging jetzt näher zu ihr, aus dem Drang heraus, sie zu beschützen, wie er sich überrascht eingestand. Na ja, er hoffte auf mehr, aber zuerst wollte er sie vor den Blicken anderer abschirmen, die sich in mehr oder weniger Abstand angesammelt hatten, wie sich immer eine Menge fand, wenn etwas Derartiges passierte. Vermutlich waren einige Handys auf sie gerichtet. Diskret zupfte er an ihrem Rock, bis dieser wieder die Haut bedeckte. Ein bisschen lächerlich kam er sich dabei vor, wo sie doch so offenherzig gekleidet war. „Sie können sich wieder bewegen. Die sind weg. Überhaupt meinen die das nicht so wörtlich.“
Sie schob sich mit beiden Händen weg von der Wand, löste die Hände aber nicht. Als brauchte sie Stütze, weil ihre Welt ins Wanken geraten war. „Gut, dann weiß ich das für das nächste Mal.“ Ihre Stimme klang jetzt zittrig, nicht mehr so empört und stark wie vorher.
„Ich würde dir gerne was zu trinken anbieten. Für die Nerven. Komm, du kannst dich da drüben hinsetzen, auf die Stufen des Diners.“
Die Menge verlief sich, sie blieben allein zurück. Derek wurde bewusst, warum. Das Feuerwerk würde in Kürze beginnen und die Menschen strömten zum Ocean Drive oder an den Strand, um einen guten Blick zu haben. „Wein? Oder lieber was Härteres?“
„Was Härteres. Danke.“
Als er drinnen einen Shot für sie holte, wiederholten sich ihre Worte in einer Schleife in seinem Kopf. Was Härteres. Was Härteres.
Fuck. Sie war nicht sein. Er wusste nichts von ihr.
Aber er konnte es herausfinden.
Sie rieb sich die Handgelenke, als er wieder neben ihr stand. „Haben sie dir wehgetan? Auch das solltest du dir merken: Nie an den Armen zerren, wenn du Handschellen drum hast. Zumindest nicht bei Echten. Die sind scharfkantig. Das ist Absicht, soll abschrecken.“
Sie grinste, dann lachte sie sogar, auch wenn es sich noch ein wenig wacklig anhörte. „Ja, klar. Hätte ich wissen können. Aber in solch einem Moment reagiert man anders als sonst, nicht wahr?“
Dereks Herz wummerte härter als zuvor. Nicht mehr im Takt der Musik aus dem Diner, sondern schneller. „Anders als sonst?“ Er musste einfach nachfragen. „Hast du schon mal Handschellen getragen?“ Erst bei der Frage selbst fiel ihm ein, dass es viele Gründe gab, Handschellen an den Handgelenken zu haben. Sie konnte tatsächlich eine Diebin sein oder aus welchen Gründen auch immer schon im Gefängnis gesessen haben. Sie konnte eine Hure sein, so wie sie gekleidet war. Aber nein, so liefen hier alle rum.
Sie wurde rot. „Äh, hm. Ja, hab ich.“
Mist, das erklärte noch nichts. „Du wurdest schon mal verhaftet?“
„Nein!“ Jetzt lachte sie, laut und sichtlich amüsiert, keineswegs verlegen. „Sorry, ich lache dich nicht aus. Ich musste nur gerade an etwas denken. Aber …“ Die Röte vertiefte sich. „Das … äh, das kann … wir kennen uns ja gar nicht.“
„Ich bin Derek.“
„Janette.“
„Dann können wir uns ja kennenlernen.“ Er stand auf und stellte sich vor sie. „Mein Name ist Derek und ich reise mit Handschellen in meinem Gepäck. Ich weiß, es ist keine Schande, das zuzugeben, aber es ist eine Schande, sie ungenutzt zu lassen.“
Janette lachte und lachte. Als sie endlich wieder sprechen konnte, frage sie ihn: „Du bist bei den Anonymen Handschellennutzern?“
„Nein, ich bin meine eigene Selbsthilfegruppe. Das heißt, ich helfe mir selbst. Suche Frauen, die gerne gefesselt werden wollen und gebe ihnen, was sie brauchen.“
Sie lachte noch mehr, aber es versiegte, als sie ihm in die Augen schaute. Sah sie die Hitze darin? Das Verlangen? Den Wunsch, sie möge sich ihm zur Verfügung stellen? Hoffentlich!
Janette richtete sich auf, bis sie ganz nah vor ihm stand. Ihre Worte waren leise, aber eindringlich. „Ich brauche es. Gibst du mir, was ich brauche?“
Nun war Derek derjenige, der errötete. Nicht aus Verlegenheit. Vor Freude. Vor Vorfreude. Vor Gier, die ihn überfiel und ihn dazu brachte, die Frau vor sich sanft aber bestimmt mit dem Rücken an die kühle, silberne Wand des Diners zu drücken, bis sie in seinen Armen gefangen war, eingeklemmt zwischen einer harten Wand und einem harten Körper mit einem Schwanz, der sich hart an ihren Bauch presste. „Ich werde dir ein Feuerwerk bereiten, das du so schnell nicht vergessen wirst. Eine Party nur mit uns als Gästen. Ich habe heute Lust auf ein Spiel. Ich bin der Polizist. Der mit den Handschellen.“
„Und einer harten Waffe.“ Sie schluckte, bewegte das Becken ein kleines Stück nach vorne. Eine Aufforderung.
Seine Waffe zu ziehen? Oh ja, nur zu gerne. Nur nicht hier.
Es knallte über ihnen, so laut, dass es sich anhörte, als stünden sie mitten im Feuerwerk. Derek drehte sie um, bis sie vor ihm stand, ihr Gesicht auf die glitzernden Explosionen über ihnen gerichtet. Er drückte sich an sie, aber erst, als ihre Arme über Kreuz hinter ihrem Rücken lagen. Seine Hand wanderte nach vorne, streifte ihr Brüste nur diskret an der Seite und legte sich um ihren Hals, umschloss ihn sanft und blieb dort, bis das Feuerwerk vorbei war.
Dann führte er sie wie eine Verbrecherin zu sich nach Hause und sie spielten Polizist und Diebin die ganze Nacht, in der Wärme von Miami, mit wummernder Musik von der Straße bis in den Morgen und einem Glitzern in den Augen, das nicht vom Feuerwerk stammte.


Auch diese Geschichte sprang mich an beim Anblick der drei Wörter, die Janette mir vorgegeben hatte: Diner, Polizei und Feuerwerk.

Ich hoffe, es stört nicht, dass ich Silvester ein wenig vorgezogen habe 😉

Die Fotos stammen von mir – Miami Beach, Ocean Drive bei Nacht

3 Gedanken zu “Handschellen und Feuerwerk

  1. Hallo Margaux, danke für deine kleine Geschichte. Wie bei den beiden anderen bin ich immer wieder fasziniert, wie du aus drei Wörtern immer wieder eine Story bauen kannst und den Leser mit auf eine kleine Reise nimmst. Danke, dass du mein Kopfkino so bereicherst

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