Jagdfieber

Dieser Weihnachtsmarkt bot zumindest ein wenig Abwechslung. Ben folgte Jelena durch die mittelalterlich wirkenden Zelte.

„Schau mal, das ist doch was für dich!“ Jelena verschwand nach rechts, er sah nur noch ihre bunte handgestrickte Mütze zwischen all den Köpfen.

Ein Stand mit Bogen und Pfeilen. Ja, er hatte früher einmal Bogenschießen als Sport ausgeübt, aber seitdem sie vor sechs Jahren umgezogen waren, keinen neuen Verein mehr gesucht. Eine leise Sehnsucht erfasste ihn. Vielleicht … Na, mal schauen. Nach Weihnachten vielleicht.

In der Nacht zum Sonntag träumte er vom Schießen. Nur, dass da keine Zielscheiben standen und auch keine Tierattrappen. Stattdessen bewegte sich etwas Helles zwischen den Bäumen, ließ Äste rascheln und blitzte hier und da auf, jedoch nie lange genug, dass er in Ruhe zielen konnte. Das Gefühl, etwas verpasst zu haben, verfolgte ihn noch nach dem Aufwachen.

Jelena, die Frühaufsteherin, wuselte geschäftig durch Küche und Esszimmer, als er mit vom Duschen noch feuchten Haaren und bequem gekleidet nach unten kam. Wie immer sonntags, wenn sie keine Pläne für den Tag hatten, trug sie ein weiches Strickkleid, heute wegen der morgendlichen Kühle mit einer Strumpfhose und dicken Wollsocken an den Füßen. Das Bild ließ ihn lächeln. Seine kleine Frau, die sich um das Frühstück kümmerte. Heimelig, gemütlich.

Er stellte sich an die Kaffeemaschine und begann mit den üblichen Handgriffen. Es war sein Job, für den morgendlichen Cappuccino zu sorgen. Auf dem Weihnachtsmarkt hatte er eine Mischung aus Kardamom, Nelken und Zimt erstanden, mit der er heute für Würze im Kaffee sorgen wollte. Der Duft sprach seine Sinne an. Die Dose knapp unter der Nase sah er Jelena ein weiteres Mal vorbeihuschen.

Die Zeit verlangsamte sich. Impressionen seines Traums sprangen ihn an. Das Helle hinter dem Gebüsch – es könnte Haut gewesen sein. Nackte Haut. Kein Tierfell.

„Ich bin gleich soweit. Nur noch die Brötchen.“ Jelena bückte sich, um einen Brotkorb aus dem untersten Fach des Küchenregals zu holen.

Wie ihr Hintern sich unter dem Kleid bewegte. Die Backen wurden vom Stoff nachmodelliert, weich und rund, trotzdem fest. Muskulös.

„Ben, träumst du?“

Er zwinkerte. Ja, er träumte. Sah Jelena, wie sie mitten im Wald stand, die Brombeerblätter auf der Lichtung leicht von Frost überzogen, die ersten Strahlen einer kühlen Morgensonne auf den Wipfeln der Buchen über ihm.

Ein weiteres Mal lief sie an ihm vorbei zum Esszimmer. Wie ihre Flanke wohl unter dem Kleid aussah? Er erinnerte sich an Rehe, die sie in einem Tierpark betrachtet hatten. Kraftvolle und doch elegante Schenkel, in einem Moment ruhig, dann, nach lautem Hundegebell, für einen Moment zitternd vor Spannung, zuletzt nur noch Bewegung, Flucht ins Dunkel des Waldes.

„Ben?“ Jelenas Stimme klang anders. Leiser. Einen Hauch verwundert. Oder ängstlich?

Sie stand halb verborgen hinter dem Schrank. Linste um die Ecke, als sei sie bereit für die Flucht.

Wieder sah er das Bild aus seinem Traum. Ja, das war sie. Nackt, zitternd, doch nicht nur vor Kälte, sondern vor Spannung. Alle Instinkte auf Flucht gerichtet, auf den winzigen Auslöser wartend, der ihre Energie zum Bersten bringen würde, sie zum Spurt anregte, über und durch alle Hindernisse. Vor seinen Augen floh sie längst, sprang mit langen Sätzen über totes Holz, schlug mit den Armen wild nach tiefhängenden Ästen, riss sich die Haut an einer dornigen Ranke auf.

Flucht wovor?

Vor Ben, dem Jäger.

Etwas war in ihm erwacht. Seine Sicht verengte sich, nur dieser Körper vor ihm, fliehend rennend. Alles, was im Weg lag, wurde von seinem Hirn sofort verarbeitet, umgesetzt in Bewegung. Der Pfad machte eine scharfe Drehung nach rechts. Bremsen, mit einem Hüftschwung der Kante ausweichend, dann über den umgekippten Stuhl springen, Achtung beim Landen, gleich um die Ecke, durch die nächste Tür, ah, die Treppe, klar floh sie nach oben. Beinahe hätte er einen Fuß gepackt, doch der andere kam seiner Nase gefährlich nahe.

Er erwischte die Tür noch mit einer Hand, ehe sie vor seiner Nase zuschlagen wollte. Das scharfe Keuchen dahinter feuerte ihn noch mehr an, die Vorstellung einer nackten Brust, deren hektisches Heben und Senken, aufgestellte harte Brustwarzen. Das Zittern in ihrer Stimme, keine Worte, die er verstand.

Sein Fuß schob sich unaufhaltsam durch den Spalt, erweiterte ihn, bis die Tür auf einmal nachgab und er beinahe mit vollem Schwung ins Schlafzimmer stürzte. Dort, hinter dem Bett drehte sie sich um, in die Ecke getrieben, die Augen groß, dunkel, Rehaugen, der Mund geöffnet, stumm jetzt, die Nasenflügel bebend.

Dass sie sich mit der Zunge über die Unterlippe leckte, war ihr Verderben. Ehe er wusste, was er tat, war das Hemd schon abgestreift, der Slip zusammen mit der Jogginghose nach unten über die Füße und in eine Ecke gepfeffert. Unnütze Dinge für einen Jäger. Unbrauchbar, störend. Sein Schwanz reckte sich steil nach oben, er benötigte keine weitere Stimulation.

Ihr Blick wurde davon magisch angezogen.

„Ben?“ Ein Flüstern. Echte Angst unter der gespielten, als Antwort auf seine echte Jagd.

Young man with bow and historical costume

„Bleib stehen, mein Reh. Bleib, wo du bist. Der große, böse Jäger wird dich fangen, du brauchst nicht mehr zu fliehen. Er hat seinen großen, dicken Spieß dabei, mit dem er dich erlegen wird. Aufspießen werde ich dich. Gib auf!“ Seine Worte hatten die gewünschte Wirkung. Sie entspannte sich, sogar ein Lächeln zuckte über ihren Mund.

Er wollte sie nicht ängstigen. Oder doch, ja, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Sie brauchte nicht zu wissen, wie ernst ihm die Jagd gewesen war, welche Urinstinkte ihn ihm aufgebrochen waren. Sie hatte es gespürt, genau wie er, doch nun war der Zeitpunkt gekommen, da er sie beruhigen musste.

„Leg dich aufs Bett und zeig mir deine Kehle als Zeichen deiner Unterwerfung.“

Ihr Nachgeben goss nur noch Öl in sein Feuer. Erhöhte die Spannung des Bogens um die letzten Zentimeter, bereit zum Abschuss.

Die Jagd war zu Ende. Er durfte sich an seinem Opfer bedienen.

Sein Triumphschrei hallte in den Weiten des Waldes wieder, zurückgeworfen von gefrorenen Stämmen und kahl in den Himmel ragenden Ästen.

 

Foto: ©yekophotostudio – depositphotos.com

2 Gedanken zu “Jagdfieber

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